Alte Bäume, neue Hoffnung
Obstbaumschnittkurs mit Kreisfachberater Markus Orf
Mindelheim, 25. Feb. 2022 - Während Markus Orf Stück für Stück seine Arbeitsgeräte aus dem Kleinwagen entlädt trudeln die Teilnehmer:innen ein. Die Bund Naturschutz Ortsgruppe Mindleheim hat im Rahmen des vielfaltobst-Projektes zum Obstbaumschnittkurs eingeladen. Gespannt schauen die rund 20 Teilnehmer:innen zu, wie der ganz in grün gekleidete Kreisfachberater für Gartenkultur- und Landespflege mit geübten Handgriffen die Teile zu oft sechs Meter langen Werkzeugen zusammensteckt.
Trotz leicht kratziger Stimme, die er beim Schnittkurs am Vortag an den rauhen Westwind verloren hat, findet Markus Orf an diesem Tag immer die richtigen Worte und verleiht der Veranstaltung eine gesunde Balance zwischen, Information, Diskussion und aktivem Bäume schneiden.
Der erst kürzlich beschlossene Streuobstpakt, in dessen Folge nicht nur 1 Millionen Obstbäume in Bayern gepflanzt werden sollen, sondern auch Gelder zur Verfügung gestellt werden, um diese zu pflegen führt einerseits zu großer Freude, andererseits auch zu Unverständnis: "Vor 50 Jahren wurden wir dafür gezahlt Hochstämme zu fällen, jetzt werden wir dafür gezahlt, sie zu pflanzen", zitiert er einen Landwirt, den er bei der Pflanzung einer Streuobstwiese beraten hat..
Die Baumschulen müssen jetzt erst ihre Kapazitäten hochfahren, doch die Streuobstkartierung, die 2009 bis 2012 im Landkreis Unterallgäu stattfand, bis 2018 auf den Bezirk Schwaben ausgeweitet wurde und letztendlich zum Sortenerhaltungsgarten Schlachters führte kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Dort sind ca. 300 Apfel- und 200 Birnensorten aus ganz Schwaben langfristig gesichert und stellen einen großen Genpool dar.
Standorttypisch für die Bergwaldgärten, die sich westlich von Mindelheim an einem Osthang befinden, sind vor allem nasse, humusreiche Böden. Für diesen Schnittkurs hat Antonia Herbst sowohl ihren Bergwaldgarten zur Verfügung gestellt, als auch Kaffee und wunderbare Apfelnudeln, aus ihren letzten Lageräpfeln, Sorte: Rheinischer Bohnapfel. Köstlich.
Ihr Garten ist zwar nur ein Flurstück breit und doch wimmelt es hier an interessanten Dingen: Neben kleinen Anbauflächen, Bienenstöcken, Komposthäufen, Slacklines, Vogelhäuschen, Nadelhölzer, Tothölzer, Sträuchern und Benjeshecken finden sich hier vor allem Obstbäume ganz unterschiedlichen Alters. Vom jüngst mit dem vielfaltobst-Projekt und der Stadt gepflanzten Jakob Fischer (wir berichteteten darüber), über speziell in Auftrag gegebene Veredelungen bis hin zu den Altbeständen, die schon lange hier waren, bevor Frau Herbst mit ihren Bienen in den Zickschen Garten einzog.
Den Experten Markus Orf beeindruckt offenkundig, dass die Gartenbesitzerin alle ihre Bäume mit Sorte kennt. Dafür hat sie selber viel probiert und verglichen, aber auch einen Pomologen zu Rate gezogen, also einen der wenigen Menschen, die mit hoher Sicherheit viele hundert Sorten Äpfel und anderes Obst allein durch Form, Farbe, Geruch und Geschmack auseinderkennen kann.
Heute geht es Frau Herbst aber vor allem um die Frage, wie sie mit ihren alten Obstbäumen umgehen soll? Doch Markus Orf lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und kehrt zum Grundlegenden zurück: "Für einen guten Baumschnitt, braucht es erstmal gescheites Werkzeug." So zaubert er aus den vielen Taschen seiner grünen Arbeitskleidung vernünftige Scheren und Klappsägen, verdeutlicht in welche Richtung sie genutzt werden müssen, erklärt Momentspannhebel, Hochentaster, den Unterschied zwischen Seiten- und Ambossschneider sowie die Vorzüge der Tiroler Steigtanne, eine Arbeitsleiter speziell für Bäume, die höchste Sicherheit für die arbeitende Person gewährleistet.
Es fällt auf, dass sich in seinem ganzen Sortiment kein einziges motorisiertes Werkzeug befindet und die Erklärung dafür, hat der Kreisfachberater gleich parat: "Wo ein Motor eingeschaltet wird, schaltet das Hirn oft aus!", sagt er augenzwinkernd. Für einen Kulturbaum, zu denen unsere Obstbäume gehören, ist ein schlechter Schnitt zwar besser als gar keiner, ein behutsamer Schnitt aber dem radikalen deutlich vorzuziehen. "Baumschneiden ist beobachten", fügt er mit einem philosophischen Unterton hinzu.
Der Pflanzschnitt
Mit all diesem Wissen sammelt sich die Gruppe nun um das erste Bäumchen, dem Jakob Fischer, der im letzten Jahr gemeinsam mit Stadtgärtner Honner im Rahmen des vielfaltobst-Projektes gepflanzt wurde.
Neben der Stammverlängerung gibt es acht weitere Äste. Gleich nach der Pflanzung gilt es aber schon das Grundgerüst für eine starke Krone zu legen. "Drei oder vier Leitäste, mehr brauchen es nicht sein", erklärt Markus Orf das Prinzip. Nach einigem Fachsimpeln ist die Entscheidung dann gefallen und die Besitzerin höchst selbst legt Hand an.
Die seitenschneidende Schere mit der Klinge hin zum Baum, wird möglichst nah auf Astring geschnitten. Wenn die Entscheidung gefallen ist, geht das ruckzuck. Der glatte Schnitt mit scharfer Klinge ohne Quetschungen, fördert den Verheilungsprozess genau wie eine möglichst geringe Summe an Schnittfläche über den gesamten Baum.
Die gewählten einjährigen Triebe der gewählten Leitäste werdenn dann ca. um die Hälfte auf ein Außenauge eingekürzt, sodass das Dickenwachstum gefördert wird. Sobald die Leitäste sitzen, geht es an die Stammverlängerung. Auch hier soll das Längenwachstum deutlich reduziert werden, weswegen häufig überraschend viel zurückgeschnitten wird. Als Hilfestellung dient hier die sogenannte Saftwaage, die Marcus Orf, mit seinen Unterarmen ein Dach formend, dank seiner "guten Grundhöhe" direkt am jungen Hochstamm präsentieren kann. Das gute Allgäuer Satteldach dient hier als Vorlage: Wenn die Spitzen der gekürzten Leitäste auf Höhe der Regenrinne liegen, so darf die Stammverlängerung nicht über den First hinausschießen. Grund hierfür ist, dass obere Triebe bei der Versorgung vom Baum bevorzugt werden.
Die abgeschnittenen Ästchen wurden gleich dankend von den Teilnehmer:innen als Reiser mitgenommen. Das Veredeln von Obstbäumen, meistens das Aufpropfen von Reisern anderer Sorten, ist eine Kunst für sich und wird vom vielfaltobst-Projekt als Kurs im späteren Verlauf noch angeboten. Die Grundlagen dazu stehen aber in dem an alle Teilnehmer:innen ausgeteilten Heft: Obstbaumschnitt in Bildern des Gartenbauvereines München.
Der Erziehungsschnitt
Mit dem Vorwissen des ersten Baumes, ging es dann am zweiten schon etwas schneller. Die Sorte Topaz, hier kerngesund, neigt häufig zu Kragenfäule. Als schorfresistente Art gezüchtet, ist sie häufig stark davon befallen. Mit Grund könnte sein, dass fast alle modernen Sorten auf zwei andere zurückzuführen sind und mittlerweile eine Art Inzucht betrieben wird. Mit gewünschten Eigenschaften, werden auch Anfälligkeiten und Mängel dieser Elternsorten an alle anderen weitergegeben, was einer genetischen Verarmung gleichkommt. Auch hierin liegt ein Bestreben der Sortenschützer, möglichst viele alte Sorten zu erhalten, als eine Art Bibliothek, auf die bei sich ändernden Bedingungen zurückgegriffen werden kann.
Die Wurzeln dieses Bäumchens wurden kurz nach der Pflanzung von Mäusen angefressen. Frau Herbst stellte dies rechtzeitig fest, nahm den Baum mit und ließ ihn in einem Eimer mit Wasser neue Wurzeln austreiben, bevor sie ihn wieder einpflanzte. Diese Geschichte zeigt die Hingabe, die Frau Herbst ihren Bäumen gegenüber hat. Nun wächst der Baum schon gesund und munter seit ca. 10 Jahren und so können Leitäste schnell identifiziert werden und überflüssige, weil beispielsweise nach innen ragende Äste, entfernt werden. Zwei Teilnehmer trauten sich am fremden Baum Hand anzulegen und gingen gemeinsam mit Markus Orf Leitast für Leitast, von unten nach oben durch. Dabei rotierten alle Teilnehmer:innen im Kreis um den Baum, da es wichtig ist, die Perspektive zu wechseln, um alle Winkel richtig einschätzen zu können. Für den letzten Schliff wurde die verlängerte Baumschere geholt, um die Leitäste der zweiten Ebene festzulegen.
Der Verjüngungsschnitt
Nach rund zwei Stunden, machte sich die Gruppe mit diesem Grundlagenwissen dann auf zu den alten Herren im Garten. Ein Landsberger Renettenapfel, dessen Krone so verbuscht ist, dass kein Licht mehr in die unteren Gefilde durchdringt. Dadurch sterben die unteren Äste ab und der Baum vergraist in unerreichbarer Höhe. Markus Orf empfiehlt hier mit möglichst wenig Schnitten, möglichst viel Licht in den Baum zu bringen. Dazu werden drei oder vier sich verzweigende Äste ausgesucht, die kaum noch Jungtriebe vorzuweisen haben. Diese werden dann gezielt mit einer scharfen Teleskopsäge entfernt. Wer sich die Mühe macht, zwei Schnitte zu machen, wird mit einer saubereren Schnittfläche belohnt.
Das Ergebnis des Verjüngungsschnittes sollte es sein, mit wenigen Schnitten einen großen Effekt zu erzielen. Was sich durch jahrelange Vernachlässigung entwickelt hat, kann auch durch einen Schnitt nicht wieder wettgemacht werden: Teilen Sie die Maßnahme über mehrere Jahre auf und warten Sie auf die Antwort des Baumes. Treibt er stark, schneiden Sie wenig und im Sommer, treibt er schwach, dürfen Sie ihm beim nächsten Mal etwas beherzter zu Leibe rücken.
Erst die alten Obstbäume bereichern unsere Gärten als Habitat für andere Arten. Und nur durch regelmäßige Pflege erreichen Obstbäume ein Alter von 30 bis 100 Jahren. Der Verjüngungsschnitt leistet hier wertvolle Hilfe und die BN Ortsgruppe Mindelheim bedankt sich bei allen Teilnehmenden und Markus Orf für das Interesse alte Obstbäume zu schützen!
Vielen Dank für das Lesen dieses umfangreichen Textes, der nur einen Bruchteil von dem wiederspiegelt, was in so einem Lehrgang durchgeführt werden kann. Melden Sie sich also für unseren Newsletter an und besuchen Sie unsere nächsten Veranstaltungen!