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Ortsgruppen

Rührei für die Artenvielfalt

Unverhoffte Fortbildung für die Ortsgruppe Mindelheim

Das frisch gewählte Vorstandsteam der Ortsgruppe Mindelheim beschäftigte sich im vergangenen Jahr mit einer Vielzahl an Themen, unter anderem mit der Aktion „Jeder m2 zählt“. Wie wichtig jeder einzelne Quadratmeter für die heimische Natur ist, wurde dieses Jahr im kleinen Reihenmittelhausgarten von Familie Mayer/Lotterbach besonders klar: Im Vorgarten zog eine Igel-Dame ein und brachte fünf kleine Stachelritter zur Welt. Die Menschen-Familie war im Baby-Glück und drückte tagelang ihre Nasen am Küchenfenster platt. Die anfänglichen Fragen

  • Was essen Igel?
  • Muss man sich um Igel kümmern?
  • Warum sind Igel so süß?

Wurden schnell durch tiefgreifendere Fragen ergänzt:

  • Was stimmt nicht, wenn die Igel-Mama statt einer runden Tropfenform einen Hungerknick im Nacken hat?
  • Wie erklärt man der eigenen Familie charmant, dass man selbst aus ökologischen Gründen selten Fleisch isst, die Igel aber täglich gebratenes Rinderhack (ungewürzt!), gekochte Hühnerhälse (natürlich mit klein geschnittener Haut!), Rührei oder Katzennassfutter bekommen?

Es bestand also dringender Handlungsbedarf, denn das Insektensterben hat leider in den letzten Jahren auch die Igel auf die Rote Liste (Vorwarnstufe) gebracht. In Bayern gibt es sogar ein eigenes Monitoring-Programm, bei dem Igel „Dead or Alive“ auf einer Internet-Plattform eingetragen werden sollen (https://www.igel-in-bayern.de/igel-melden/).  

Fortan war abendliches Igel-Füttern angesagt und auch frisches Wasser durfte nicht fehlen. Je älter die kleinen Igel-Babys wurden, desto weiter entfernten sie sich vom Nest und erkundeten (teils tagsüber) die nahegelegene Straßenkreuzung und Nachbarsgärten mit Igel-Häckslern (auch Mäh-Roboter genannt). Glücklicherweise verlor auch die Igel-Mutter bald die Nerven und verfrachtete ihre Babys unter ein Hochbeet auf der Rückseite des Hauses. Im Haus wurden inzwischen Igel-Infos wie spannende Krimis verschlungen (empfohlene Seite: http://www.pro-igel.de/). Nicht selten hatte das Sprüche zufolge, wie  „Ach, wenn Du mir doch mal nachts um elf ein Rührei braten würdest“ oder „Wie sind die Igel eigentlich die letzten 12 Millionen Jahre ohne Dich klar gekommen?“.

Freunde fragten bei Igel-Funden, wie man denn jetzt sieht, ob ein überfahrener Igel vielleicht eine säugende Mama war. Ninja Marie Winter, Igel-Expertin aus dem Hortus-Netzwerk, beantwortete noch spätabends allerlei Fragen und im Zoohandel konnten wir so sinnvoll argumentieren, warum teures Igel-Trockenfutter wohl eher was für das Vogelhäuschen ist. Doch so stachelig der Igel ist, so berührt er doch alle und schnell entstanden in der Nachbarschaft Igel-Unterkünfte für Auszugswillige Youngster.

Eines Mittags zog das kleinste der fünf Igel-Kinder sein Hinterbein hinterher und auch sonst machte es einen ziemlich müden Eindruck. Die Geschwister waren schon eine Ecke größer und bei näherer Betrachtung hatte es ein trockenes Näschen, fahle Augen und eine Pilzerkrankung zwischen den Stacheln. Also auf zum Tierarzt, allerdings mit dem PDF „Igel in der Tierarztpraxis“ auf dem Handy, denn Tierarzt-Besuche mit Igeln sind nicht so ohne: Viele, normalerweise in Praxen verwendete Mittel wirken schädigend oder tödlich auf Igel.

Abends zog das kleine Igel-Kind in einegroße Box auf den (nun nicht mehr ganz geruchsneutralen) Dachboden, natürlich beheizt und mit Tageslicht. Nach und nach wurde es aufgepäppelt und Flöhe, Pilz und Darmparasiten wurden behandelt. Als Urlaubsquartier durfte das Igelchen in die „Orangerie“ der Familie Fäßler, die gleich dem Igel-Wahn verfiel. So gab es allmorgendliche Igel-Infos per SMS und alle Vegetarier*innen freuten sich über verputzte Hühnerhälse. Während einer abendlichen Igel-Beschau klopfte ein kleines Jungtier an die Tür. Wegen Ansteckungsgefahr durfte es nicht hinein, jedoch wird es nun täglich draußen katzensicher gefüttert, damit es auch für den Winterschlaf den nötigen Speck ansetzen kann.

Nun wurden in beiden Gärten weitere Igel-Quartiere für die Youngster errichtet und bezogen. Während andere Laub zum Wertstoffhof bringen, holen die Igelfreunde Laub von den Nachbarn in den eigenen Garten und errichten große Haufen in windgeschützten Ecken. So haben die Igel eine schützende Wärmedecke und können im Frühjahr gleich einige der im Laub überwinternden Schmetterlingspuppen und Käfer verspeisen. Durch heimische Pflanzen und viel Totholz im Garten gibt es zumindest einige Insekten-Snacks. Schnecken und Regenwürmer fressen Igel übrigens nur zur Not und zum Schaden ihrer Gesundheit (Wurmbefall).

Eigentlich sind Igel Einzelgänger mit 30 bis 100 Hektar großen Revieren, meist in der Nähe von Menschen und Gärten. Bei Wohnungsnot in der Nachbarschaft und entsprechendem Futterangebot rücken sie auch manchmal dichter zusammen. Im 80 Quadratmeter Reihenmittelhausgarten sind nun drei Quartiere bezogen und trotz vieler wundervoller Beobachtungen freuen sich die Gartenbesitzer*innen nun auf fünf bis sechs Monate Winterschlafenszeit bei ihren Mitbewohnern. Krankheiten sind überstanden und ihr Winterschlafgewicht (> 700 Gramm) haben sie schon fast erreicht.

Mehr Infos

Erste Hilfe, Futter, Tierarztbesuch etc.

http://jederm2zaehlt.de/tiere/
Igel-Notrufnummer: 0800 7235750

Außerdem können Sie in der Geschätsstelle der Kreisgruppe Bücher und Informationen rund um den Igel einsehen, mitnehmen und ausleihen.